Einige Jahre war ich als Heilpädagogin tätig und bin zu oft Kindergartenkindern begegnet, deren Gesichter mich an bereits verdorrte Rosenknospen erinnerten. Und so zählte es zu meinem Auftrag, einen Weg zu finden, wie diese verdorrten Knospen neu zum Erblühen gebracht werden könnten? Auch darüber nachzudenken, welche Therapie für welches Kind mit besonderen Bedürfnissen die geeignetste sein könnte? Doch aus verschiedenen Gründen bin ich im Kindesalter nicht mehr so therapiegläubig wie einst. Natürlich gibt es Umstände, in denen eine Therapie Sinn macht und zu grosser Verbesserung beiträgt. Bei Seh- und Hörbehinderten zum Beispiel.
Die wohl grösste Gruppe von Kindern mit besonderen Bedürfnissen umfasst heute die der 'Verhaltensauffälligen'. Tendenz steigend. Kinder, deren seelischen und geistigen Grundbedürfnisse in frühen Jahren allermeist nicht gut genug gestillt werden konnten. Gerade das macht sie im täglichen Verhalten auffällig und besonders herausfordernd. Ich nenne diese Kinder viel lieber Frühverletzte. Ein Begriff, der ihnen gerechter wird, ihnen mehr Würde gibt, finde ich. Er weist auf die traurige Ursache, nicht auf deren beschwerliche Auswirkung hin.
Ich habe Hoffnung für diese Kinder. Vor allem über den Himmel. Nicht über Therapien im Kindesalter. Später, wenn ihr Leidensdruck mal gross genug und ihre Einsicht reif ist, dass sie wirklich Hilfe brauchen, um an den Grundfesten ihrer Seele heiler zu werden - ja, dann habe ich Hoffnung für sie! Auch über therapeutische Wege. Erst recht, wenn noch ihr Schöpfer in den Heilungsprozess mit einbezogen werden kann. Im Kindesalter aber? Nein.
Viel zu oft versucht man lediglich, das herausfordernde Symptom eines Kindes in den Griff zu bekommen oder stillzulegen - wo es doch die beschädigte Wurzel ist, die das Symptom bewirkt. Das frühverletzte Kind reagiert oft aufgrund dessen, was an seiner Lebenswurzel Schaden nahm. Kann bereits im Mutterleib geschehen.
Inzwischen bin ich pensioniert - aber nicht ohne Leidenschaft. Alles Erlebte als Lehrerin, Adoptiv- und Pflegemutter und Heilpädagogin führte mich im Blick auf die Entwicklung von Kindern zu einer reichen Palette eindrücklicher Erfahrungen und Einsichten, ja Schätzen, die ich nun gerne austeilen möchte, wo immer diese Schätze auf offene Ohren und weit geöffnete Herzen stossen.
Ich habe vielerorts festgestellt, dass es nicht mehr klar ist,
Man sollte diese Phasen und Prioritäten einigermassen kennen, wenn man wissen möchte, was das anvertraute Kind jeweils in welcher Phase braucht.
Und weil genauso unklar ist,
wichtige Gegensatzpaare sind, die unsere Schützlinge dringend brauchen, um sich gesund entwickeln zu können. DESHALB möchte ich künftig einen präventiven Weg einzuschlagen, auf welchem angehende und junge Eltern unterrichtet und angeleitet werden können, wie sie dazu beitragen können, dass ihre anvertrauten Kinder mit soliden Lebensfundamenten ausgerüstet werden können.
Nein, Liebe fühlt sich nicht immer lieb und sanft an. Sie muss auch den Mut zum Nein haben, was dem Kind durchaus mal hart erscheinen mag. Wahre Liebe fragt weit vorausschauend danach: "Was tut meinem Kind gut? Was fördert es? Was hilft ihm fürs Leben?" Liebe richtet sich nach den Antworten darauf. Nicht primär nach dem spontanen Wunsch eines Kindes.
Freiheit hört auch für Kinder dort auf, wo sie seelische, geistige oder körperliche Verbogenheit zu bewirken beginnt. Darum muss es in der Begleitung von Kindern auch Grenzen geben. In jedem Leben. Solche klar zu setzen, davor schrecken viele zurück.
FREIHEIT IST NICHT ABWESENHEIT VON ZWANG.
FREIHEIT IST DIE FÄHIGKEIT,
AUF DIE MÖGLICHKEIT ZU VERZICHTEN.
Prof. Dr. Rudi Seiss