Ja, ich glaube die über 2000-jährige Volkswanderungs-Geschichte von Josef und Maria, die unterwegs von Nazareth nach Bethlehem waren, hat mich noch nie in meinem Leben so sehr bewegt. Noch nie ist sie mir so nahe getreten, wie dieses Jahr. 2015, auch ein Jahr der grossen Volkswanderungen. Nicht einer Volkszählung wegen. Die Gründe, die zum grossen Flüchtlingsstrom aus verschiedenen Himmelsrichtungen führ(t)en, sind tragischerer Natur. Wir wissen es alle.
Gleich bleibt für viele "Wanderer" von heute, wie damals für Josef und Maria, die wohl oft genug verzweifelte Herbergssuche ... Das völlige Angewiesensein auf Goodwill von Menschen, die in solchen Herbergsfragen irgendwie das Sagen haben.
Mein erster Besuch im Asylzentrum unserer Stadt liegt einige Tage zurück. Der zweite wird diese Woche folgen. Immer wieder lagen folgende Gedanken zuoberst auf meinem Herzen:
"Es könnte geradesogut umgekehrt sein - ich als Asylsuchende im Irak - oder in Eritrea. Was kann ich dafür, dass die Weltgeschichte bis jetzt anders geschrieben, ich in Westeuropa geboren wurde? Was, wenn es umgekehrt wäre ...? Wie käme ich zurecht damit? Ohne meine innere Verbundenheit mit meinem Erfinder wohl ziemlich schlecht. Mit Ihm herausfordernd genug."
Durch die Arbeit von weisser Lilie bekommen Gefährte und ich in der Flüchtlingsfrage manches näher als aus der Zeitung oder der Tagesschau mit. Das ist in vieler Hinsicht ein Gewinn. Nicht nur betroffend machend. Natürlich das auch. Wenn minderjährige Menschen entscheiden, ihr Heimaland fluchtartig zu verlassen - nota bene nicht im "easy-jet" - unwissend ob die Flucht gelingt, ob sie sie irgendwie heil überstehen und irgendwann mal irgendwo ankommen, wo sie wieder so was wie Sicherheit und Schutz erfahren, dann macht das mehr als nur ein wenig betroffen.
Und doch gibt es auch viele ermutigende Erfahrungen durch sie. Der gestrige Abend war so eine. Da diese Woche in der grossen Fremdlingsfamilie viel auf dem Programm steht, begleitete ich weisse Lilie gestern zur Arbeit um mitanzupacken. Wir entschieden uns, bei der Gestaltung des Adventsfensters, das eine dörfliche Aktion ist, weiter zu machen. Weisse Lilie bat mich, doch auch meine Flöte mitzunehmen und abends den jungen Menschen vielleicht etwas vorzuspielen. Ja, klar, konnte ich machen, wenn es passte.
Mit allem kamen wir gut voran. Zwei, drei der Jugendlichen halfen mit beim Schnipseln fürs Fenster. Dann stand das Nachtessen auf dem Tisch, das weisse Lilie innert Kürze hingezaubert hatte und alle satt brachte. Bald war Feierabend. Eine Gruppe spielte in einer Ecke der riesigen Stube zusammen mit einer Mitarbeiterin sehr munter Gesellschaftsspiele, zwei der Fremdlinge sassen am Computer und hörten sich heimatliche Musik an, wenige waren in der Küche am Aufräumen und ich spielte dazu fröhliche Klänge auf meiner Flöte.Es war ein wahrlich kunterbuntes Zusammensein - doch es fühlte sich durch und durch an wie FAMILIE. Beisammensein. Friede, mitten in zahlreichen verrückten Lebensgeschichten sehr junger Menschen, die vor vielen und grossen Herausforderungen stehen. Angefangen beim Erlernen einer fremden Sprache.
Plötzlich stand einer von ihnen vor weisser Lilie und gab zu verstehen, dass er sehr gerne zur Flöte ein Lied singen würde ... Das war wie eine nicht planbare Sternstunde von ganz besonderer Art. Was für ein Geschenk, dass ich auch Noten mit Weihnachtsliedern mitgenommen hatte. Sofort fingen wir zusammen ein Lied auszusuchen an und blieben beim internationalen "Stille Nacht" stehen. Was hatte dieser junge Mensch für eine Ausdauer und eine Freude, miteinbezogen zu werden und mit einer seiner Gaben beitragen zu können! Wir haben gewiss eine 3/4 Stunde geübt. Einerseits die deutschen Worte auszusprechen helfen und dann natürlich beherzt zusammen zu singen und zu spielen.
Wenn alles gut geht, werden wir morgen Abend zur kleinen, dörflichen Adventsfenster-Feier zusammen dieses Lied vortragen ... und weisse Lilie wird die letzte Strophe in ihrer Muttersprache singen.
Durch sie lernte ich kürzlich ein anderes Weihnachtslied ihres Heimatlandes kennen, das mir sehr gefällt. Es beschreibt die ganze Weihnachtsgeschichte:
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